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ZILLA SPINNT IM RAUSCH
Ernüchternde Experimente mit Spinnen
Aus vielen und zum Teil sehr abseits liegenden Quellen wird die moderne medizinische Forschung gespeist. Und oft spielt dabei ein glücklicher Zufall, wie bei der Entdeckung der bakterienfeindlichen Wirkung gewisser Schimmelpilze, eine entscheidende Rolle. Jetzt kommt die überraschende Mitteilung, daß man hofft, aus den phantasievollen Gebilden berauschter Spinnen Schlüsse auf die Wirkung von Anregungsgiften und Heilmitteln für Menschen ziehen zu können.
Hier 1 ist die Vorgeschichte: Im
vorigen Sommer sollte in Tübingen ein Film über den Netzbau der Spinnen gedreht werden. Professor Peters vom Zoologischen Institut, Kameramann und Beleuchter erfuhren bei dieser Gelegenheit, daß Spinnen am Morgen wirklich Kummer und Sorgen bereiten können. Obwohl das alte Sprichwort ursprünglich auf das Flachsspinnen gemünzt war, mit dem früher nur die Ärmsten schon in aller Herrgottsfrühe beginnen mußten. Die langbeinigen Künstlerinnen weben ihre
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Netze schon vor Tagesanbruch, also zu einer Zeit, in der Filmaufnahmen nur bei starker künstlicher Beleuchtung gemacht werden können.
Um die Spinnen tagsüber zum Netzbau anzuregen, schüttete man das aufputschende Mittel Pervitin in ihr Trinkwasser. Als Versuchstier benutzte man eine Radnetzspinne aus der Gattung Zilla. Aber die Enttäuschung war groß. Zilla baute auch weiterhin im Morgengrauen ihr Netz. Nur ein Unterschied war vorhanden — es wurde kein so kunstvolles und symmetrisches Gewebe wie sonst.
Dem Kameramann hatte der Trick also keinen Vorteil gebracht. Desto *
mehk interessierte sich Dr. Peter Witt vom Pharmakologischen Institut der Tübinger Universität für die eigenartigen Netzformen. ‘ Er ließ Holzrahmen bauen, in denen die Spinnen jetzt unter Einfluß von Pervitin, Alkohol, Coffein, Veronal, Morphium und anderen Giften ihre Netze weben mußten. Alle Mittel wurden in geringen Mengen dem Trinkwasser beigegeben.
Im Herbst mußten die Versuche unterbrochen werden, als sich die Spinnen zum Winterschlaf rüsteten.
Alle im Rausch gebauten Netze waren photographiert worden. Jetzt wurden die zwischen den Fäden entstandenen Drei- und Vierecke genau geometrisch berechnet, und dabei ergab sich eine eigentümliche Regelmäßigkeit:
Die Tübinger Pharmakologen lernten bald, ein typisches Alkoholnetz von einem ausgeprägten Pervitinnetz zu unterscheiden. Die Symptome eines Rausches machen sich bei jedem Menschen verschiedenartig bemerkbar, weil die Wirkung des Alkohols oder eines anderen Giftes stets von fremden Einflüssen überlagert wird.
Zilla aber spinnt nach der Aufnahme der abgemessenen Dosis eines bestimmten Narkotikums immer in der gleichen Weise. Die Formen ihres Netzes lassen vollkommen exakt darauf schließen,, in welcher Art sie behandelt wurde.’
Man kann auf die weitere Untersuchung dieser erstaunlichen Ergebnisse sehr gespannt sein, die durch eine Filmdiva kleinsten Formats veranlaßt wurden. Daß sie selbst auf dem Gebiet der Giftproduktion nicht ganz unerfahren ist, macht die Sache noch interessanter. Dr, Herbert L. Schräder