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Nr. 6 . 1954
Feld, Wald und Wasser
Die Spinne, die unter Wasser lebt
Von Dr. Peter N. Witt
Wenn wir beobachten, welche Mittel Tiere gefunden haben, um sich an ihre Umgebung anzupassen, werden wir nie müde zu staunen. Die Säugetiere, eigentlich für das Leben auf dem Festlande gebaut, haben z. B. als Wale für das Leben im Wasser oder als Fledermäuse für den Beutefang im Fliegen besondere Körperformen entwickelt. Die Spinnen hingegen haben ihren Körperbau weitgehend unverändert durch die Jahrtausende und unter den verschiedensten Lebensbedingungen bewahrt. Nur ihr Verhalten hat sich in den eigentümlichsten Richtungen entwickelt, und sie wissen ihre körperlichen Gegebenheiten so geschickt zu benutzen, daß sie den Luftraum und das Wasser erobert haben.
Wir kennen keine Spinne mit Flügeln. Aber durch ge-
•schicktes Spinnen von Fäden kann ein leichtes Gebilde geschaffen werdeh, das junge Spinnen bei Wind durch die Luft trägt und alle Sprachen haben eine besondere Bezeichnung für die im Herbst herumfliegenden Fäden gefunden, die nichts weiter sind als Flugzeuge, mit deren Hilfe sich die Tiere über das Land verbreiten.
Die Anpassung an das Leben unter Wasser ist nur einer einzigen Spinne gelungen, Argyroneta aquatica, und es lohnt -sich wohl, das merkwürdige Verhalten etwas näher zu beobachten, das es ihr ermöglicht, in den Seen Europas tief unten ihre Beute zu fangen und sich fortzupflanzen.
Zwei besondere körperliche Merkmale zeichnen Argyroneta vor den anderen Spinnen aus: ein dichtes Haarkleid auf dem Hinterleib und eia besonders reich verzweigtes Luftröhrensystem, das seine Ausmündung am Bauch des Tieres hat. Die gut ausgebildeten Luftröhren oder Tracheen ermöglichen es der Spinne, mit einer geringen Menge Luftsauerstoff lange Zeit auszukommen, während das Haarkleid als Befestigung für die große Luftblase dient, die sie sich als Vorrat für das Leben unter Wasser mitnimmt. Sobald eine solche Luftblase, die den Hinterleib des Tieres silbern umgibt, verbraucht ist, steigt Argyroneta an die Oberfläche, steckt ihren Hinterleib in die Luft und holt so neuen Vorrat für ihre Atmung unter Wasser. Nur sorgfältiges Putzen und wahrscheinlich sogar Einschmieren der Haare macht diese immer wieder geeignet, die Luft auch bei den heftigßten Bewegungen unter Wasser am Körper zu halten und so die Atmung zu ermöglichen. Die Luftblase gibt dem Tier auch den nötigen Auftrieb unter Wasser, und wenn ^wir im Wasser die Luft von der Spinne abstreifen, muß sie Rtlend ertrinken.
Wenn das die einzige Hilfe wäre, die Argyroneta für das Leben unter Wasser entwickelt hätte, so würde sie nicht weit damit kommen. Sie müßte häufig ihre Jagd unter Wasser unterbrechen, um an der Oberfläche die verbrauchte Luft zu erneuern. Dazu hätte sie besondere Schwierigkeiten beim Verzehren der Beute, da sie hierfür keine besondere Anpassung an das Leben unter Wasser zeigt. Wie ihre
Schwestern, die Spinnen auf dem Lande, ist Argyroneta zahnlos. Sie kann nur das Innere der gefangenen Insekten aussaugen, nachdem sie es durch ein eingespritztes Sekret verflüssigt hat; und wie kann sie das unterWasser tun, wo die Nahrung nur verwässert in den Magen gelangen würde ? Wir wollen einmal im Aquarium beobachten, wie sich Argyroneta verhält, nachdem sie eine fette Wasserassel gefangen, vergiftet und gefesselt hat.
Die Beute wird mit einem Faden am nächsten Zweig einer Wasserpflanze befestigt, und nun beginnt die Spinne ein flaches, waagrechtes Netz zu spinnen, scheinbar ganz vergessend, daß sie eigentlich fressen wollte. Das Netz ist lose und nur an den Rändern an Wasserpflanzen verankert.
Wasserspinne (Argyroneta aquatica)
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Feld, Wald und Wasser
Nr. 6 . 1954
Sowie es eine genügende Dichte erreicht hat, klettert die Baumeisterin an die Oberfläche, holt sich eine große Luftblase, wobei das Anlegen des hinteren Béinpaares an den Leib ihr erlaubt, eine noch größere Menge Luft als gewöhnlich mitzunehmen. Die Luft wird nun unter das Gewebe transportiert und dort bis auf einen kleinen Rest abgestreift, und die Spinne klettert so schnell wie möglich wieder an die Oberfläche zurück. Sie holt neue Luft und wiederholt das so oft, bis unter Wasser eine silberne Luftglocke entstanden ist, in der die Beute schließlich auf gehängt und ausgesogen werden kann.
Dies ist sicher eine erstaunlich komplizierte Handlung, wenn wir bedenken, daß es sich um ein angeborenes und von den Vorfahren ererbtes Schema handelt, das bei all diesen Tieren in gleicher Weise bei jedem Beutefang abläuft.
Wir haben nun beobachtet, wie eine solche Luftglocke unter Wasser gebaut wird, und wie sie der Spinne erlaubt, sich unter Wasser zu ernähren. Aber die Glocken — jedes Tier baut viele solche — dienen noch vielen anderen Zwecken. So werden im Sommer große Glocken gebaut, die der Spinne als Aufenthaltsort dienen; in einer Glocke lauert sie auf Beute, in einer solchen Glocke kann sie überwintern, und schließlich findet in einer Glocke die Begattung statt.
Aber es ist wohl am erstaunlichsten, daß auch die Fortpflanzung tief unter Wasser in einer solchen Glocke geschieht. Für diesen Zweck wird eine extra feste und große Glocke gebaut, die in der Mitte durch ein waagerechtes Gewebe in zwei Räume unterteilt ist. Im oberen Teil werden die Eier abgelegt, während die Mutter im unteren Teil lebt und auf den Nachwuchs aufpaßt. Sie verläßt das Haus von Zeit zu Zeit, um neue Luft herbeizuholen, denn das Wachsen der Embryonen braucht viel Sauerstoff. Und eines Tages verlassen die kleinen Spinnen das Nest, auf eigenen Beutefang ausgehend, jede mit einer kleinen Lufthülle ausgerüstet, die sie von «zu Hause» mitbekommen hat.
Die Forschung hat sich lange mit dem Problem beschäftigt, wie Argyroneta mit dem geringen Luftvorrat am Körper und in der Glocke unter Wasser tage- ja wochenlang auskommen kann. Man konnte berechnen, daß der einmal eingetragene Luftsauerstoff auf die Dauer nicht genügen
könne. Durch chemische Analysen der Luftblasen fand man schließlich heraus, daß ein ständiger Austausch an Gasen zwischen dem lufthaltigen Wasser der Teiche und der Luft in der Glocke stattfindet. Die Wasserpflanzen scheiden Sauerstoff aus, der mit der Oberfläche der’Glockenluft ir4 Berührung kommt. In der Glocke ist der Sauerstoff weitgehend verbraucht, und es diffundiert neuer Sauerstoff auf Grund des Konzentrationsgefälles aus dem Wasser in die Glocke, während die von der Spinne ausgeatmete Kohlensäure sich im Wasser löst und so entfernt wird. Die Erneuerung hält zwar nicht ganz mit dem Verbrauch Schritt, aber sie bedeutet doch immer wieder eine Auffrischung des Luftvorrates unter Wasser und bietet so dem Tier günstige Bedingungen für seine Atmung.
Dies ist nur eine der Merkwürdigkeiten aus dem Leben von Argyroneta, die durch genaue Beobachtung aufgeklärt werden konnte. Aber es gibt noch viele andere Geheimnisse in ihrem Leben — wie z. B. das Haften der Luft am Haarkleid -^-‘über die wir nichts Sicheres wissen. Hier könnten Naturfreunde, die viel Zeit am und auf dem Wasser verbringen, durch sorgfältiges Beobachten und Registrieren des Verhaltens von Wasserspinnen helfen, Aufklärung zu bringen. Vielleicht ist es diesem Aufsatz gelungen, bei unseren Fischern dafür das Interesse zu wecken ?
Ob manches dir entschwunden Und denkst du noch so kühly Es war einmal in Stunden Lebendiges Gefühl.
Es war einmal in Tageny Was heut das Her^ nicht weiß,
Ein selig süßes Zagen,
Ein Bangen still und heiß\
Otto Hinnerk.