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WISSENSCHAFT
Tiere
Chaotisches
Geflecht
Im Drogenrausch geraten ihnen die Netze aus der Form. Sind Spinnen als Versuchstiere geeignet, giftige Stoffe zu testen?
Die Kreuzspinne hat ihren Faden verloren. Benebelt von Marihuana, hört sie einfach auf zu spinnen. Sie läßt das halbfertige Radnetz im Wind flattern und fängt an zu dösen. Da freuen sich die Fliegen.
Die Disco-Droge Ecstasy hingegen, ein Aufputschmittel, macht die müde Spinne wieder munter: Viel schneller als sonst spult sie ihren klebrigen Zwirn ab. Im Übereifer kommt dem Krabbeltier nur leider die Übersicht abhanden; faustgroße Löcher klaffen im hastig er-sponnenen Glitzer-Geflecht.
Experimente zeigen: Drogen und andere Gifte setzen auch den Spinnen zu. Forscher der US-Raumfahrtbehörde Nasa haben deshalb jetzt vorgeschlagen, die konfusen Gliederfüßler für Tierversuche einzuspannen – so könnten Labormäuse geschont werden.
„Je giftiger eine Substanz“, schreiben die Nasa-Forscher, „desto deformierter ist das Spinnennetz.“ Mit Spinnen ließe sich demnach testen, ob neuartige Arzneistoffe, Kosmetika oder Nahrungsmittelzusätze für den Menschen unbedenklich sind oder nicht. Im Rahmen eines Forschungsauftrags (der mit der Raumfahrt nichts zu tun hat) basteln die NaSa-Experten für die Industrie bereits an einem Bildverarbeitungsprogramm, mit dem exakt analysiert werden könnte, wie stark ein unter Giftwirkung geknüpftes Netz vom normalen Erscheinungsbild abweicht (siehe Grafik).
Daß sich Spinnen, die ein Rauschmittel schlürfen, jählings in ihrem eigenen
Netz verheddern, hat als erster der deutsche Pharmakologe/Peter Witt! beobach-tet. An einem Herbsttag des Jahres 1948 wollte der mit Witt befreundete Spin* nenkundler Hans Peters für den Schulunterricht filmen, wie Kreuzspinnen ihr Netz bauen. Die Aufnahme gestaltete sich äußerst schwierig, da die Tiere es vorzogen, nachts zu weben. Der Tierfilmer bat Witt deshalb, den Spinnen einen Muntermacher zu verabreichen.
Das Amphetamin, so berichtete Witt später, wirkte anders als erwartet: „Unter pharmakologischen Einfluß bauten die Spinnen nicht zu einer früheren Stunde; dafür aber waren ihre Netze seltsam verzerrt.“ ,
Witt begann, den Spinnen systematisch in Zuckerwasser gelöste Drogen und Gifte einzuträufeln. Jede noch so kleine Veränderung an der hochsymmetrischen Netzarchitektur hat er genauestem protokolliert.
Der Pharmakologe ersann auch trickreiche Anwendungen. So fütterte er
Kreuzspinne
Steckt im Kaffee ein Ultragift?
Spinnen mit dem Urin von Schizophrenen, um anhand der Radnetze herauszufinden, ob die Geistesstörung eine organische Ursache hat. Witt, 76, der heute als Rentner in North Carolina lebt, erinnert sich: „Wir haben leider keinen Effekt gefunden.“
Auch Witt dachte schon an solche Schadstoff-Tests, wie sie nun die Nasa-Forscher Vorhaben. Doch er fand bald heraus, daß Menschen und Spinnen auf einige Substanzen sehr unterschiedlich reagieren.
Mit LSD im Blut beispielsweise schufen die Spinnen vollkommen gleichmäßige Netze, Gebilde von nie zuvor erreichter Perfektion. Schon nach Verzehr geringer Mengen von Koffein tobte in den Spinnenköpfen hingegen das Chaos: Nichts klappte mehr, nichts paßte zusammen. Steckt in Kaffee oder Coca-Cola also ein Ultragift?
– „Man muß höllisch aufpassen, daß man aus den Verformungen der Spinnennetze keine falschen Rückschlüsse auf den Menschen zieht“, warnt der Spinnenexperte Fritz Vollrath seine amerikanischen Kollegen.
Die Spinnerei hat bei der Nasa Tradition. Mit dem Weltraumlabor Skylab schickte die Nasa vor 20 Jahren die Kreuzspinnen Arabella und Anita ins All. Die Tiere sollten unter Schwerelosigkeit ihre Netze spinnen. Bald nach dem Start erfüllten sie brav ihren Job. Auf einmal fiel den Astronauten jedoch auf, daß sie das Futter für Arabella und Anita auf der Erde vergessen hatten.
Die Biologen in der Bodenstationen empfahlen, den Spinnenweibchen saftige Fleischstückchen ins Netz zu legen. Da begingen die Raumfahrer ihren zweiten Fehler: Sie grillten die Mini-Steaks vorher in der Mi-t krowelle; dadurch wurde dem 1 Fleisch jegliche Flüssigkeit ent-I zogen.
» Arabella und Anita vertrock-* neten und standen für weitere Experimente nicht mehr zur ^^erfügung.
208 DER SPIEGEL 20/1995